1965 bis 1975 - Stichworte zu einem Jahrzehnt der Veränderung (4) |
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6.
...aber unsere Träume nicht...
Auf der Folie der engen, spießbürgerlichen Verhältnisse der Adenauer-Ära, die vom Erbe des NS-Regimes geprägt war, des rapiden ökonomischen Aufschwungs und des Umbruchs in den 50er und 60er Jahren gestaltete sich ein Stimmungsbild von zwei sich scheinbar ausschließenden Polen: dem Konservatismus, der alles einschränkte, und dem sich allenthalben zeigenden Potential, das die gesellschaftliche Entwicklung beschleunigte. Das Wirtschaftswunder mit seinem schnellen Wachstum und den damit verbundenen Veränderungen vor allem auch soziokultureller Art auf dem Gebiet der Mode, der Sexualität, der immer zahlloser werdenden Produkte, der Arbeitsverhältnisse, des Verkehrs u.a. konnte seine Produktivkräfte nicht binden lassen durch das Korsett des Konservativismus. Dieser musste für den großen Aufbruch gesprengt werden. Ein bedeutender Sprengkörper war die Jugendbewegung der Jahre 1965 bis 1975. Überzogen wurde dieses Stimmungsbild in Deutschland mit Beginn der 60er Jahre durch die Spannungen der Systeme: hier Kapitalismus, dort Sozialismus/Kommunismus. Der kalte Krieg konnte - so die Befürchtungen dieser Zeit - immer in einen aktuellen Krieg umschlagen, was weltweit in den damaligen Krisengebieten auch geschah. Vietnam war nur eines der angeführten Beispiele. Der Wettkampf der Systeme zeigte sich im Wettrüsten, in der strategischen Beteiligung der Westmächte in den Krisengebieten, der Entwicklung der Technologie, sogar auf dem Gebiet des Sports, vor allem bei den olympischen Spielen, wo der Medaillenspiegel Aussagen über die Überlegenheit der Systeme machen sollte. Das alles wirkte auf die Jugend der 60er Jahre, die in diesem Stimmungsgemisch nach Orientierung suchte. Der Wandel der Gesellschaften brachte auch immer mehr Informationen über die Verbrechen des NS-Regimes in Europa und im eigenen Land. Konzentrationslager, Massentötungen, organisierter Mord an Juden und Minderheiten, das alles kam immer detaillierter zu Tage. Damit setzten sich die Jugendlichen auseinander. Sie entwickelten Solidarität mit den unterdrückten Völkern der Erde und deren Befreiungsbewegungen, die mit dem Vokabular der Kritischen Theorie, dann immer mehr mit dem Marxismus formuliert wurde. Anleihen wurden bei der Arbeiterbewegung vor 1933 gemacht. Man suchte Orientierung in den Strukturen und geschichtlichen Bedingungen dessen, was in einer anderen Zeit gescheitert war. In der Zeit des expandierenden Kapitalismus, der sich abzeichnenden Mediengesellschaft, für die die Bildzeitung mit ihren Schmuddelkampagnen so etwas wie eine Vorhut war, ebenso das Fernsehen, war der Rekurs auf die Arbeiterbewegung, die im Verschwinden begriffen war, ohnehin zum Scheitern verurteilt. Wenn man selbstkritisch mit seiner eigenen Vergangenheit, mit seinen eigenen Träumen umgeht, fällt hierzu der Satz Hegels ein, nachdem sich historische Ereignisse immer zwei Mal ereignen: das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce. Doch nicht so sehr die Ziele, vielmehr die Praxis der 68er Bewegung hat nicht die Träume von einer besseren Gesellschaft verwirklichen, dafür aber die Fesseln sprengen geholfen, die die bundesrepublikanische Gesellschaft einschnürten. Hierzu gehörten auch die religiösen Fesseln, die Fesseln des Bildungssystems und die Fesseln der Vergangenheit - und ein Stück von den eigenen Fesseln. Die 68er Bewegung war auch eine Emanzipationsbewegung für die Entwicklung ihrer Akteure, die nur möglich war, weil die Träume des Einzelnen zu Träumen einer ganzen Bewegung wurden - oder die Träume der Bewegung zu Träumen des Einzelnen.
Autor: Peter Biresch
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